Pohlmann & Cäthe
„Nix ohne Grund“ Part I
Mag sein, dass es nicht von Bedeutung ist, wo sich POHLMANN in jener Nacht aufgehalten hat, als Kurt Cobain starb. Vielleicht ist es auch nicht entscheidend ob er tatsächlich mit Cat Stevens aka Yusuf Islam kürzlich auf der Insel Mykonos meditierte und vergangenes Jahr mit Tracy Chapman durch die zerstörte Innenstadt von Detroit gedriftet ist. Pop ist immer nur durch einen fiktiven Schleier zu begreifen.
Wichtig zu verstehen ist dabei bloß, dass alles was wir über POHLMANN vielleicht nie erfahren werden – die dunklen, geheimnisvoll glitzernden Abgründe seiner Biografie – ihren Ursprung auf einer norddeutschen Baustelle findet. Die Story geht nämlich so: Um den Vater glücklich zu machen, absolviert POHLMANN als Teenager eine Maurerlehre. Vielleicht hat er damals die Welt als nicht viel mehr als einen großen Haufen Pflastersteine wahrgenommen und dabei festgestellt: Das verdammte Leben ist tatsächlich bloß eine endlose Baustelle!
Diese Biografie hätte große Vorteile! Kann sein, POHLMANN deswegen heute so etwas wie den Jack Kerouac unter deutschen Musikern repräsentiert – ein König der Straßen, mit dem Sprachgefühl eines großen Idealisten. Das ist bewegend. Nicht nur, weil er mit der Sprache eines genialen Drifters jongliert, sondern weil er uns in seinen Songs mit einer wunderbar widersprüchlichen Selbstbespiegelung aufwühlt.
Was aber macht einer, der mit Musik Seelen bewegen kann? Er ruft ins Gedächtnis, dass Erfolg nur jenen beschert ist, die sich ihren Idealismus bewahren und authentisch bleiben. Zwar ist es POHLMANN noch nicht gelungen wie, sagen wir mal, Bob Dylan oder Albert Einstein die Welt zu revolutionieren. Aber Idealismus nährt die Leidenschaft und das große Träumen, und das neue Album zeigt deutlich, wie Revolutionen vorbereitet werden. Würde POHLMANN den Idealismus verlieren, würde er auf der Stelle aufhören und etwas anderes machen. Doch er hat sich einmal mehr entschieden: für uns. Und damit für den Blick von Außen nach Innen. Sein neues Album ist da! Und damit wirft er einen weiteren Pflasterstein im Namen der deutschen Post-Protest-Music in Richtung Baustelle Leben….
Protestbewegungen sind heute längst der Ironisierung gewichen. Es gibt scheinbar nichts mehr, für das es sich lohnen würde zu protestieren. Doch Gesellschaftskritik funktioniert heute anders: Hart und herzlich, wütend und charmant, leidenschaftlich und hochexplosiv – wie alle belegen können, die einen Live-Auftritt von POHLMANN miterlebt haben.
POHLMANNs Lächeln steht in einer perfekt ironisch-gebrochenen Distanz zu sich selbst, und wie POHLMANN mit seinem Spiegelbild herumspielt, macht jetzt, dank seinem neuen Album, noch viel mehr Freude. Sein Sound versprüht seelische Anästhesie – damit wir vielleicht die schmerzhaft rasenden gesellschaftlichen Veränderungen besser verdauen können.
So wie Skin einmal ausrief: „Yes it´s fucking political. Everything`s political“ schneidet POHLMANNs neues Album „Nix ohne Grund“ (VÖ: 10.05.) in vielen Zügen des modernen Lebens und des Social Networkings ein.
Jeder weiß heute, dass alles Private politisch und brisant ist. POHLMANNs Politik ist zwischen Realität und Rätsel angesiedelt – eine aufregende Mischung.
CÄTHEs deutschsprachige Popmusik kann mutiger und ehrlicher nicht sein. Die in Hamburg lebende Sängerin nimmt in ihren Texten kein Blatt vor den Mund und überzeugt mit ihrer rotzigen Röhre, die einem nicht mehr aus dem Kopf geht. Ihre Musik ist laut, verspielt, ansteckend und außergewöhnlich. Auf so eine Künstlerin wie CÄTHE hat man in Deutschland lange gewartet. Endlich ist sie da! Bevor im September 2011 ihr ungewöhnliches und erfrischendes Album „Ich Muss Gar Nichts“ erscheint, schenkte sie uns Ende Januar 2011 bereits die 5-Track-EP „Senorita“, die schon eindrucksvoll zeigte, was für ein Talent hier am Werke ist.
Als CÄTHE an einem grauen Novembertag 1982 in Staßfurt zwischen Berlin und Magdeburg geboren wurde, war sie noch das kleine Sandkörnchen Catharina Sieland, wie man es zu Millionen am Ufer der nahen, breiten, dahinfließenden Elbe finden kann. Aber dieser Novembertag war ein Sonntag. Bald nahm das Geheimnis seinen Lauf. Schon früh begann das Sandkörnchen zu trällern, im Kindergarten, in Treppenhäusern, wo sich die Gezwungenermaßen-Zuhörer noch die Ohren zuhielten oder sich Stille mit Bonbons erkauften. Dennoch: Allen Unbilden zum Trotz, die Musik war längst in ihrem Herzen. Die Eltern waren froh darüber. Ihr Vater besaß zwar Beatles- und Rolling Stones-Platten, konnte aber selbst nicht musizieren, und die Mutter liebte Goethe, besaß jedoch nicht den Drang, selbst zur Feder zu greifen.
CÄTHEs Kindheitsträume endeten wie die aller Mädchen, am Meer, in der Ferne oder über den Wolken, die Realität dagegen reichte meistens nur bis auf den Campingplatz am Plauer See. Aber auch dort war es schön, weil man zusammen mit dem Bruder und den Großeltern Terence Hill und Bud Spencer schaute und Mensch-Ärgere-Dich-Nicht spielte.
Die Ausreise wenige Monate vor der Wende von Staßfurt nach Aalen in Baden-Württemberg war ein tiefer Einschnitt in das Leben der Siebenjährigen, der aber den Wunsch zum Singen nur verstärkte. Nun lag der kleinen Catharina plötzlich die ganze Welt der Töne zu Füßen. Ihr erster Eklat im Westen bestand darin, dass sie ihrer Barbiepuppe einen Kurzhaarschnitt verpasste. „Sie sollte so aussehen wie ich.“ Auch CÄTHE war schlank wie eine Barbiepuppe, trieb Sport, tanzte Rock n´ Roll und war wendig wie eine Wildkatze. Sie konnte aus dem Stand durchstarten, explodieren, beinahe platzen und dann wieder bockig sein wie ein wolliges Schaf.
Mit zwölf kaufte ihr der Vater eine Gitarre. Bald gab es kein Halten mehr. Die Musiker-Karriere lag wie eine Autobahn vor ihr. Mit vierzehn gab sie ihr erstes Konzert in der Kneipe von Bobby Brown. Fast wäre sie vor Lampenfieber zersprungen. Aber alles ging gut. Von nun an ist CÄTHE auf der Suche ihres Lebens, auf der Suche nach sich selbst. Aber CÄTHEs Mutter wollte bei der Suche mitspielen. Sie fand eine Kunstschule für Schmuck und Design für die Tochter. Das war nicht schlecht, aber die Fachschule für Musik- und Gesangsausbildung in Dinkelsbühl gefiel dem Musiktalent besser. Dort erlernte sie selbst Dirigieren. Ein Sandkorn bleibt man vorerst auch nach dem besten Schulbesuch, wenn nicht ein Glücksfall eintritt. Und er trat ein. CÄTHE hatte schon in der Schule eigene Lieder geschrieben, sie am Wochenende, wenn alle nach Hause fuhren, in ein verstimmtes Klavier gehämmert und auf Tonträger aufgenommen, sich autodidaktisch zum Songwriter entwickelt. Sie hätte Englisch schreiben können, doch sie schrieb Deutsch, „weil ich mich so besser ausdrücken kann“, und sie wollte ihre Lieder in Deutsch singen. Selbstgeschriebene Texte, die bei ihr immer autobiografischen Bezug haben, dienen der Selbstfindung, das Wichtigste vielleicht für einen angehenden Künstler. Aber CÄTHE wusste bald, vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt. Sie jobbte u.a. als Sexshopverkäuferin, Weihnachtsmann und Stuhlabbeizerin. Nachts schreibt sie wie besessen Lieder – immer auf der Suche nach neuen Möglichkeiten. Ihr Weg führte über Mannheim schließlich nach Hamburg, wo sie an einer Hochschule einen mehrwöchigen Popkurs absolvierte. Hamburg gefiel ihr, und 2006 zog sie ganz in die alte, schöne Hansestadt. Mit Kallas, Flozze, Kriton und Philipp baute sie sich eine Band auf, die es mit ihren Instrumenten versteht, das scheppernde Herz der Musik anzutreiben und die mutige Popsängerin, die alle Facetten auf der Bühne auslebt, auf ihrem ungewöhnlichen Pfad zu begleiten. Sie schrieb Lied auf Lied und die Anzahl ihrer Fans wuchs von Tag zu Tag.
Auf ihrem Debütalbum „Ich Muss Gar Nichts“singt sie ehrlich und befreiend über Gefühle und Eindrücke, die sie beschäftigen. Sie lebt sich aus, lässt ihre wilde Seele regieren und erzählt Geschichten, die das Leben schreibt. Sie ermahnt sich, das Leben selbst in die Hand zu nehmen und sich nicht von Ängsten beherrschen zu lassen („Senorita“), singt über Beziehungen („Wahre Liebe“), Vagabunden („Tiger Lilly“) oder darüber wie leicht es sein kann, schwer zu sein („Leicht Schwer Zu Sein“). CÄTHE kann laut sein und rockt gewaltig, aber auch die leisen Töne stehen ihr hervorragend, wie auf „Bleib Hier“oder beim Titelsong „Ich Muss Gar Nichts“.
In Philipp Schwär findet CÄTHE den richtigen Produzenten für ihre selbst komponierten Stücke. 13 davon nahmen sie im Sommer letzten Jahres mit ihrer Band und einigen Gastmusikern in den Hamburger Home Studios auf.
Aus dem Sandkorn von Staßfurt ist heute in Hamburg eine Perle geworden. In wenigen Monaten wird CÄTHE ihr erstes Album herausbringen. Erst dann werden sie und ihre Bewunderer erfahren, ob diese schmächtige, schreibende und singende Musikathletin es geschafft hat, ob die Verwandlung vom Sandkorn zur Perle kein Märchen ist.